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Emil Rudolf Weiß als Kinderbuchillustrator
Roland Stark

Emil Rudolf Weiß (1875 Lahr/Baden - 1942 Meersburg) gilt als einer der bedeutendsten Buch- und Schriftkünstler des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Vor allem das Gebrauchsbuch hat er über viele Jahre in seiner künstlerischen Ausgestaltung maßgeblich beeinflußt. Seine Zusammenarbeit mit S. Fischer, Eugen Diederichs und der "Insel" haben das Gesicht dieser Verlage entscheidend geprägt.

Als eines der um die Jahrhundertwende so zahlreichen Multitalente schwankte Weiß eine Zeitlang zwischen seinen dichterischen Neigungen und der bildenden Kunst. Er veröffentlichte eigene Gedichtbände und machte sich als Übersetzer zeitgenössischer französischer Autoren einen Namen. 1)

Die Arbeiten für das Kinder- und Jugendbuch nehmen im Oeuvre von Weiß nur einen beschränkten Raum ein und beziehen sich mit Illustrationen lediglich auf das erste Dezennium des 20. Jahrhunderts. In den vorliegenden Biographien über Weiß sind sie - nicht zuletzt wegen des großen Umfangs seiner buchkünstlerischen Arbeiten - nur mit wenigen Sätzen erwähnt. Lediglich Schaffsteins Volksbücher werden eingehender behandelt. 2)

Nach den vorgelegten Beiträgen zur Kinderbuchkunst von Karl Hofer und Konrad Ferdinand Edmund von Freyhold erschien es gerechtfertigt, auch Weiß in diese für die Entwicklung des modernen deutschen Kinderbuchs so wichtige Phase einzubeziehen und seine Mitwirkung darzustellen. Weiß, mit Hofer und Freyhold seit der Karlsruher Akademiezeit eng befreundet, wirkte dabei als Anreger, Mittler und Illustrator.

Ein wesentlicher Impuls für den jungen Weiß, sich für die Buchkunst zu entscheiden, war die Begegnung mit Otto Julius Bierbaum, einem der Herausgeber der berühmten Zeitschrift PAN. Weiß hatte ein Gedicht an Bierbaum gesandt, an dem Bierbaum vor allem die Schriftgestaltung faszinierte. Er gab dem jungen Künstler den Auftrag, ein Novalisgedicht kalligraphisch zu gestalten. 3) Für das zweite Heft von PAN schuf Weiß Zierleisten zu Hugo von Hofmannsthals Terzinen. 4)

Ein weiterer Anstoß, sich als Buchkünstler zu betätigen, ergab sich aus der Begegnung mit dem jungen Eugen Diederichs, der 1894 für einige Monate als Buchhandlungsgehilfe in Karlsruhe arbeitete, wo Weiß seit 1893 an der dortigen Großherzoglichen Kunstakademie bei Hans Thoma, Leopold von Kalckreuth und Robert Poetzelberger Malerei studierte. Das erste Buch des 1896 gegründeten Eugen Diederichs Verlags war der Gedichtband DIE BLASSEN CANTILENEN von Weiß, dessen Einband er ebenfalls gestaltete. Es entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen Weiß und Diederichs, dessen verlegerischer Einfluß auf die Buchgestaltung später mit richtungsweisend wurde und der neben Weiß wietere namhafte Buchkünstler für seine Verlagsproduktion einbezog. 5)

Weiß - kontaktfreudig und engagiert - hatte bereits als Student enge Verbindungen zu den literarischen Größen seiner Zeit und korrespondierte intensiv mit ihnen. Seine Freundschaft mit Alfred Mombert und Richard Dehmel, seine Beziehung zu Otto Julius Bierbaum und Julius Meier-Graefe prägten ihn und führten über die Bekanntschaft mit Richard Dehmel auch zum Kinderbuch.

Der "Weißbu", wie ihn seine Karlsruher Kommilitionen nannten, bis an sein Lebensende prononciert, bisweilen derb formulierend, fiel Karl Hofer durch sein exzentrisches Aussehen und Auftreten schon in jungen Jahren auf. In seinen Lebenserinnerungen schrieb Hofer:
"Zu jener Zeit war Décadence in Paris große Mode. E. R. Weiss brachte diese Geste aus Paris mit, und sie kam auch in seinem Äußeren zum Ausdruck. Bleich, vornübergebeugt und müden Wesens schritt er einher, für uns Jüngere eine interessante Persönlichkeit ... Weiss, Freyhold und ich bildeten ein etwas sonderbares Trio. Angetan mit langen, schwarzen Mänteln, breitrandigen Hüten, bleich und dekadent, erschienen wir herausfordernd in den Straßen der Stadt. Er vermittelte uns die Kenntnis von Baudelaire, Mallarmé, Verhaeren und Rimbaud, den er übersetzt hatte." 6)

Doch hinter diesem von Hofer geschilderten Äußeren verbarg sich bei Weiß ein freundschaftlich gesonnener Mensch, der den Kollegen und Freunden, allen voran Konrad Ferdinand Edmund von Freyhold, aus innerer Überzeugung ein Leben lang behilflich war und sich intensiv für sie einsetzte.

Das Beziehungsgeflecht zwischen den Freunden ist auch eine der maßgeblichen Bestimmungsgrößen für die Arbeit an den Kinderbüchern. Als Richard Dehmel, der sich 1901 - nach seinem ersten Erfolg mit dem Kinderbuch FITZEBUTZE - von dem Verleger Hermann Schaf(f)stein das Herausgaberecht an einem Kinderbuch nach seinen persönlichen Vorstellungen hatte geben lassen, Weiß um Rat bei der Auswahl der Künstler für die Illustrationen bat, antwortete Weiß (wiederum sehr bestimmt) am 17.12.1901: "Wozu die Jugend Kerle, die Ihnen im besten Fall doch nur Münchnereien geben können." 7)

Er schlug stattdessen Hofer, Wilhelm Laage und Freyhold vor, von dessen kindgerechten Arbeiten er am stärksten überzeugt war und schrieb am 8.12.1901 an Dehmel: "Soll ich Ihnen mal Sachen schicken von einem Menschen, gegen dessen Darstellungen wir alle Barbaren sind." 8)

So wurden Hofer und Freyhold zusammen mit Weiß und dem Schweizer Ernst Kreidolf, der schon Paula und Richard Dehmels FITZEBUTZE illustriert hatte, in eine Gemeinschaftsarbeit einbezogen, die sich über zwei Jahre erstreckte und in der sich Weiß als Wortführer und Mittler der beteiligten Künstler in einer umfangreichen Korrespondenz auswies. 9)

Dehmel bat bereits im Frühjahr 1902 die ausgewählten Künstler um die Entwürfe für ein erstes Vollbild für sein BUNTSCHECK betiteltes Bilderbuchprojekt. 10) Diese ersten Entwürfe kommentierte er, und es ergab sich ein ständiger Schriftwechsel mit den einzelnenKünstlern. 11) Als die Beiträge der Autoren vorlagen, lud Dehmel die vier künstlerischen Mitarbeiter und den Verleger Hermann Schaffstein zu einem Treffen, das ab 1. April in Stuttgart stattfand. Stuttgart war zu dieser Zeit das Domizil von Hofer und Weiß, die beide die Karlsruher Akademie verlassen hatten und im Herbst 1902 ihren Lehrern Kalckreuth und Poetzelberger an die Stuttgarter Akademie gefolgt waren.

Dehmel diktierte vor diesem Zusammentreffen den einzelnen Künstlern seine Vorstellungen, wies ihnen ihren illustratorischen Beitrag zu den jeweiligen Autoren zu und schrieb zu Weiß:
"Seite 21 Die herrlichen Birnen wird E. R. Weiss am köstlichsten malen. Volle Randzeichnung. Unten Gartenperspektive oder dergl; aber wenn möglich ohne Kinder, sondern mit blühendem roten Mohn und Schmetterlingen (vergl. Text auf Seite 20 & 22). Seitlich, rechts und links in die Höhe gehend, je ein Birnbaum-Stamm. Oben das dunkelgrüne Laubwerk mit den strotzenden gelbroten Früchten. Es werden wohl 5 Farben nötig sein... Seite 44 - 46 sind wegen des Vollbildes auf Seite 47 gleichfalls von E. R. Weiss zu behandeln; höchstens in drei Farben. Auf Seite 44 (diese vielleicht am besten blos in Schwarz-Weiss-Zeichnung, mit etwas Gold) erbitte ich zwei grosse Engel mit aufwärts geschwungenen Flügeln, die ein schreibendes Kind behüten... Seite 48 muss natürlich einen vollen Rahmen aus Alpenveilchen bekommen; in drei Farben, Rosa für die Blüten und zwei verschiedene Grün für die Blätter. Und natürlich ist auch hier E. R. Weiss der Begnadete. Deshalb muss er auch die ziemlich ungnädige Seite 49 mit in Pacht nehmen; diese wohl am besten blos in Schwarz-Weiss. Allenfalls kann sie auch unillustriert bleiben." 12)

Von allen Malern erbat sich Dehmel Entwürfe für Einband und Vorsatz und schrieb - quasi entschuldigend - am Ende seines zitierten Briefes: "Nochmals bemerke ich zum Schluss, dass es selbstverständlich jedem der Herren unbenommen bleibt, auch zu anderen Texten, als den von mir speciell vorgeschlagenen, Entwürfe mitzubringen. Doch musste eine Directive gegeben werden, damit sich nicht womöglich auf einzelne Texte Entwürfe häufen, während andere ganz unbehandelt blieben."

Aus der nach diesem Treffen sich ergebenden Fortsetzung der Korrespondenz entwickelte sich eine - sehr freundschaftliche - Auseinandersetzung über einzelne Bildzuweisungen an die verschiedenen Künstler. Weiß erwies sich dabei erneut als ein uneigennütziger Förderer Freyholds und schrieb am 21.08.1903 an Hofer, er habe Dehmel gebeten, nicht seinen eigenen Entwurf zu Momberts Erzählung aufzunehmen, sondern auf Freyholds Zeichnung zurückzugreifen. Dehmel hatte ursprünglich Weiß gegenüber Hofers Entwurf bevorzugt und schrieb am 09.09.1903 an Mombert: "Lieber Alfred! Die Sache ist nämlich die. Zwischen den Buntscheck-Malern war ein Wettstreit entbrannt, wer Dein Eismärchen illustrieren sollte, und da mir Weiß und Freyhold ungefähr gleich begabt dafür schienen, wollte ich im Zweifelfall Dich entscheiden lassen. Jetzt bin ich allerdings nicht mehr im Zweifel; Weißens Bild (das bunte) ist für ein Kinderbuch fraglos vorzuziehen. Die Bleistiftskizze von Freyhold ist zwar grandioser, obgleich mirs eigentlich gegen den Strich geht, wenn der Maler den Dichter noch überdichten will; Kinder aber wüßten garnichts damit anzufangen, und Deine schon zur Genüge "übersinnliche" Geschichte würde ihnen dadurch noch mehr Kopfzerbrechen machen. Ich bin also durchaus für Weiß in diesem Fall. Trotzdem würde ich, wenn Du entschieden anderer Meinung bist, den Freyhold nehmen. Bitte schicke mir die Bilder umgehendst mit Deinem Bescheid zurück! Die Sache eilt." 13)

An Weiß hatte Dehmel seine Meinung dezidiert weitergegeben: "Seien Sie bedankt für die Pünktlichkeit und noch mehr für die Schönheit. Prächtig geglückt ist die Abänderung des Birnenbildes und wundervoll das Mädchen im Nachen. Mir persönlich sagt vielleicht das Hofersche Bild zu Mombert mehr, weil's eigenwillig hingehauen ist; aber für das kindliche Verständnis ist zweifellos das Ihre vorzuziehen. Ich muß natürlich noch Freyhold's Skizze abwarten, ehe ich mich entscheide." In einer Fußnote ergänzte er: "Eben kommt Freyholds Sendung. Seine Skizze zu Mombert ist grandios, geht dem Dichter selber wahrscheinlich noch über Hofer's, ist aber garnichts für Kinder. Ich bitte also Sie um die Conturenzeichnung und bitte möglichst bald." 14)

Weiß hatte zu diesem Zeitpunkt an Hofer berichtet: "Ich habe an Dehmel geschrieben, dass Freyhold ausser der ersten Zeichnung, die fabelhaft ist - aber nichts für Kinder, noch eine zweite hat, die fast ebenso schön ist und vollkommen verständlich - und dass D. mit seiner definitiven Entscheidung warten soll, bis ihm Cimabu die zweite Zeichnung schickt, die er auf meine Veranlassung fertig macht, weil ich sie gern anstatt der meinigen drin haben möchte, denn sie ist wundervoll." 15)

Die uneigennützige Haltung von Weiß setzte sich durch, und Dehmel berichtete Alfred Mombert am 18.9.1903: "Der Geist denkt und die liebe Seele lenkt. Trotz und wegen unserer Briefe habe ich gestern mit Freyhold und Weiß vereinbart, daß wir den Freyhold zu der Eisgeschichte nehmen. Im "Grunde" wird's auch Dir so lieber sein." 16)

Trotz des hohen Respektes von Dehmel gegenüber Weiß kritisierte er ihn während des Entstehungsprozesses und schrieb ihm: "Außerdem schicke ich Ihnen die Randleisten zu Seite 36/37 wieder mit. In der Zeichnung gefallen sie mir alle gleich gut, aber im Motiv widerstrebt mit der Engel rechter Hand zu Seite 37. Der Engel links (mit den Moosen) very well, aber nur noch ein Schutzengel, dadurch kommt etwas Wehmütiges in den Gesamteindruck der beiden Seiten, das weder zu den Dichtungen paßt noch überhaupt in unser gemeinsames Werk. Ich glaub wenigstens, daß auch Sie das junge Geschlecht nicht verzärteln wollen und bitte Sie deshalb auch auf die Seite 37 (als Gegenstück zu dem Nikolaus auf Seite 36) noch irgendeinen haarigen Mann zu postieren. Die große Tanne könnten Sie sehr gut beibehalten nebst etlichen kleinen im Hintergrund, aber oben könnten Sie so ein recht zornbärtiges Gotteshaupt durch eine Lücke der Zweige schauen lassen und dann unten über den kleineren Bäumen ein langhinflatterndes Nebelgewand.

Endlich haben Sie noch vergessen, die beiden kleinen Cyclamen Vignetten (bloß je eine Blüte nebst Blatt) zu Seite 49 zu zeichnen. Bitte schieben Sie's nicht auf die lange Bank, wie auch die Wodansleiste nicht! Ich kriege sonst wirklich graue Haare vor lauter lausigen Buntschecksorgen." 17)

Die Korrespondenz zur Gestaltung des BUNTSCHECK zog sich bis in das Spätjahr 1904. Vor allem Fragen der technischen Ausführung bildeten das Schwergewicht des Meinungsaustausches. Dieser Meinungsbildungsprozeß und die Folgerung, sich für Schablonenkolorierung für die Vorzugausgabe und für Chromotypie für die Volksausgabe zu entscheiden, ist in Hans Ries grundlegendem Werk zur Illustration des Kinderbuchs - mit dem Begriff einer "Sternstunde" verbunden - eingehend und höchst kompetent dargestellt worden. 18)

Der Briefwechsel und die Begegnungen der Künstler mit Dehmel beschränkten sich nicht nur auf die technischen Komponenten, auch zu künstlerischen Vorschlägen Dehmels regte sich Widerspruch. So protestierten Freyhold und Weiß beim Herausgeber entschieden gegen seinen Versuch, Paul Scheerbart für die Randleistenillustrierung seines eigenen Autorenbeitrags "Die angeführte Hexe" heranzuziehen. Weiß bezeichnete die Entwürfe als "Zahnwurzeln" und setzte gemeinsam mit Freyhold schließlich durch, daß Dehmel seine Absicht aufgab. Kreidolf, von Weiß in einem Brief an Hofer wegen seines gleichnamigen Erfolgsbuches als "Wiesenzwerg" definiert, übernahm die Aufgabe.

Trotz des bis ins Detail abgestimmten Entstehungsprozesses kommentierte Weiß nach dem Erscheinen des BUNTSCHECK das Ergebnis gegenüber Hofer mit den Worten "Vorhin bekam ich endlich auch den BUNTSCHECK. Es hätte noch schlimmer ausfallen können." 19)

Kurze Zeit später milderte er sein Urteil in einem weiteren Schreiben an Hofer: "Hast Du jetzt endlich Exemplare vom BUNTSCHECK bekommen? Ich hoffe doch. Die schablonierten Exemplare sind sehr schön." 20)

Richard Dehmel äußerte sich über einige Illustrationsbeiträge von Weiß nach der Herausgabe des Buches negativ, nachdem er schon am 2.2.1904 an ihn geschrieben hatte: "Von Schafstein erhielt ich kürzlich die farbigen Probedrucke zu Ihren Buntscheck-Bildern. Mir scheint nun, daß einige zu farbig sind und durch aufdringliche Wirkung das Buch schädigen. Das liegt wahrscheinlich an der verdammten Maschinenproduction; aber da die nun einmal unumgänglich ist für die Volksausgabe, so müssen Sie Ihre Technik danach einrichten und das Colorit irgendwie dämpfen. Vor allem ist das grauenhafte Schlackwurst Rot des Cyclamenbildes unmöglich. Wenn man nach der sanften Dunkelheit des Gottvaterbildes die Seite umschlägt, prallt man geradezu zurück vor diesem unerträglichen Rot; auch das entzückend zarte Gedicht wird dadurch auf das gröbste überschrien." 21)

Obwohl Weiß zu Änderungen bereit war und sie durchführte, mokierte sich Dehmel nach der Veröffentlichung des BUNTSCHECK über Weiß und sprach gegenüber Kreidolf von der "Plakatmanier" und der "Kulissenschieberei" von Weiß. Das Vollbild "Gottvater macht den Mond wieder ganz", dessen sanfte Dunkelheit er noch gelobt hatte, war nun für ihn die künstlerische anfechtbarste Illustration im BUNTSCHECK geworden. 22)

Die zeitgenössische Reaktion, die von eindeutiger Zustimmung bis zur Ablehnung reichte, sah die Position von Weiß bei den Illustrationen zum BUNTSCHECK anders als Dehmel. Schur schrieb beispielsweise in seinem Aufsatz "Vom modernen Bilderbuch: "So wird er (Weiß d.V.), der die frischen Farben, die eigenwilligen Linien hat (wobei er doch überall die tüchtige Arbeit vor der Natur, das wirklich graphische Können durchblicken läßt), der beides zu einer geschlossenen Einheit bringt, fähig sein, die Illustration im alten Sinn zur Dekoration im neuen Stil umzubilden und zugleich dem Inhaltlichen sein Recht zu lassen. Und indem er die Technik wie den Zweck bedenkt, merkt man die Erziehung, die Weiß durch die Beschäftigung mit den Problemen der modernen Graphik sich hat angedeihen lassen. Zugleich ist er durch die Schule des Impressionismus hindurchgegangen und rettet auch die Helligkeit der Farben, das Lichte, Luftige in sein Werk hinüber. Bei ihm ist alles bedacht, und das Ganze bleibt, trotz des Bildcharakters, eine graphische Schöpfung." 23)

Die Diskussion über das hochgespannte Bilderbuchprojekt Dehmels blieb bis nach dem zweiten Weltkrieg umstritten. Noch Dyhrenfurth kommentierte 1967: "Aufsehenerregend durch seine prächtige Ausstattung und vielfach - mit Recht - angegriffen wegen seiner unkindlichen, modischen Art der Illustration und des Textes war der Sammelband "Buntscheck", den Richard Dehmel 1904 herausgab." 24)

Ulrich Hann schloß sich diesem Urteil 1977 nicht an: "Weiß ist weniger bizarr als Hofer. Er schafft keine traumhafte Welt wie Kreidolf, vermeidet das Verspielt-Phantastische Freyholds und konzentriert sich auf die Darstellung einfacher, dem Kind leicht zugänglicher Themen. Dabei überwiegen Bezüge zur Wirklichkeit. Die Freude am Detail entfällt. Weiß ist nicht so eigenwillig und hölzern wie Hofer, seine Linien sind klar und bestimmt, die Farben frisch und hell wie bei Freyhold." 25)

Aus heutiger Sicht - vor allem nach der veränderten Einstufung von Hofer und Freyhold als Illustratoren - dürfte diese Einordnung von Weiß nur noch bedingt haltbar sein. 26) Weiß hat von den drei Freunden sicherlich am konventionellsten im Sinne der überkommenen Bilderbuchillustration gearbeitet. Er blieb damit hinter Hofer und Freyhold mit ihrer neuartigen Darstellungsart zurück. Diese aber deshalb mit negativen Beurteilungsaspekten zu versehen, scheint verfehlt. Die drei Künstler hatten eng zusammengearbeitet und ihre Skizzen ausgetauscht, wie aus der Korrespondenz hervorgeht. Dabei hatte jeder seine eigene künstlerische Position eingenommen, wobei deutlich wurde, daß Weiß, der sich zeitlebens als Maler fühlte und sich immer an Hofers malerischer Entwicklung maß, hinter diesem zurückblieb und auch Freyholds ursprüngliche Ausdrucksweise im Empfinden und Gestalten nicht erreichte. Trotzdem ist auch bei ihm der Entwicklungssprung - vor allem in der von Dehmel monierten Farbigkeit gegenüber der herkömmlichen Bilderbuchillustration - unübersehbar. Auch die Darstellung des Birnengartens auf Seite 21 zeigt in der Gestaltung des Segelbootes und der Figuren im rechten, unteren Bildteil die gleichen Stilelemente des scherenschnittartigen Ausdrucks wie sie Hofer zum Beispiel im RUMPUMPEL (Seite 31) bei den Figuren anwandte.

Entgegen Dehmels hochgespannten Erwartungen verkaufte sich der BUNTSCHECK weit schwächer als erwartet. Eine Neuauflage erschien erst fast zehn Jahre später. 27) Dehmel dagegen hatte in einer Auseinandersetzung mit Weiß zur Honorarfrage am 3.8.1903 noch geschrieben: "Ich habe dann noch wunders geglaubt, welche besondere Brezel ich Ihnen backe, indem ich bei Schafstein auch in Bezug auf das Reproductionsrecht gewisse Vorbehalte durchsetzte, auf die kein anderer Verleger in Deutschland eingegangen wäre, selbst seinerzeit das Insel Consortium nicht. Ich habe Ihnen diesen Abschnitt des Vertrages in Stuttgart vorgelesen, und grade hiergegen hat keiner von Ihnen auch nur den geringsten Widerspruch erhoben." 28)

Dieser Passus im Vertrag fixierte das auszuzahlende Honorar, bestimmte das Eigentumsrecht der Künstler an ihren Bildern und sagte dann im Hinblick auf weitere Vergütungen: "Nach Absatz von 150.000 Exemplaren hat der Verlag den genannten Malern und Herrn Richard Dehmel, resp. ihren Rechtsnachfolgern, dasselbe Honorar wie bei der Erstauflage zu entrichten, nach Absatz der folgenden 50.000 Exemplaren abermals dasselbe Honorar, und so fort für jede weiteren 50.000 Exemplare." 29)

Dehmel täuschte sich nicht nur bei diesen Absatzerwartungen, er hatte auch die Intentionen der Künstler falsch eingeschätzt, als er ihnen in einem vorhergehenden Brief das Beispiel Kreidolf als erstrebenswert hingestellt hatte und damit annahm, die Maler seien an weiteren Bilderbuchaufträgen interessiert. 30) Hofer wandte sich nach seiner Übersiedlung nach Rom 1903 von derartigen Arbeiten ab, Weiß beschränkte sich in seinem - immensen - Werk zur Buchkunst vorrangig auf andere Aufgaben, und lediglich Freyhold hoffte, mit Buchaufträgen finanziell selbständig werden zu können, um Freiraum für seine Arbeit als Maler bekommen zu können. Er allein übernahm für Schaffstein und später für Bruno Cassirer Illustrationsaufgaben für weitere Bilderbücher.

E. R. Weiß hatte zur Zeit der Entstehung des BUNTSCHECK für den Schaffstein Verlag Einband und Rückendeckel für den Sammelband "Der getreue Eckardt" entworfen. Dieses Buch, dessen Illustrationen von anderen Künstlern stammen, erschien zwar bereits 1903, ist aber hinsichtlich des Entwurfs von Weiß zeitlich nach diesem einzuordnen: Die Vollbilder dem Buntscheck von Weiß zum BUNTSCHECK sind mit 1902 datiert, obwohl das Buch erst 1904 ediert wurde.

Mit der Gestaltung des Einbandes verließ Weiß die zeichnerische und farbliche Linie seiner Beiträge zum BUNTSCHECK nur unwesentlich. Der Einband wird durch einen mit floralen Elementen gefüllten, breiten Rahmen bestimmt, dessen sich überschneidende Eckquadrate mit Früchten geschmückt sind. Im mittleren Hochrechteck ist zentral ein Greis mit einem prallgefüllten Gabensack auf dem Rücken dargestellt, der ein Kleinkind auf der linken Schulter trägt, während ihn ein Junge und ein Mädchen umspringen. Das Mädchen reicht dem rauschbärtigen, weißhaarigen Alten Blumen: Eine Frühlingsszenerie in einer auf das kindliche Empfinden ausgerichteten Darstellungsform in frischen, fröhlich wirkenden Farben. Auf der Rückseite ist ein hochbeladener Früchtekorb mit einer mittig eingesetzten Vase voller Frühlingsblumen und einem zwitschernden Vogel zentral drapiert. Damit verwendete Weiß ein Motiv, das sich über einige Jahre durch seine Buchausstattung hindurchzog.

Mit diesem Einband beendete Weiß seine Arbeit als Bilderbuchillustrator. Die noch folgenden buchkünstlerischen Arbeiten zum Kinderbuch beziehen keine Illustrationen mehr ein, wie ja Weiß überhaupt in seinem umfangreichen Beitrag zur Buchkunst als Illustrator nur höchst selten und dann meist nur mit Bildbeigaben aufgetreten ist. Das voll illustrierte Werk "Drei Monate in Spanien" ist eigentlich ein in Buchform veröffentlichter Skizzenblock und kann nicht als illustriertes Werk verstanden werden.

Mit Schaffsteins "Volksbücher für die Jugend" gestaltete Weiß eine komplette Reihe, die ab 1904 erschien und in der von Weiß entworfenen Gestaltung insgesamt 90 Bände umfaßte. Diese Volksbücher hatten Märchen, Sagen, Abenteuergeschichten und volkstümliche Erzählungen zum Inhalt. Weiß schuf den Einband mit seinen Varianten, den Buchschmuck und die Typographie der gesamten Serie. Die Bücher waren zunächst nicht mit Illustrationen ausgestattet; erst ab 1907 wurden - offenbar aus verkaufstaktischen Erwägungen - auch farbige und schwarz-weiße Illustrationen eingegliedert, von denen aber keine von Weiß stammt. 31)

Weiß hatte eine Folge von Kopfleisten und Initialien entworfen, die teils auf den betreffenden Band zugeschnitten waren, teilweise vom Verlag wahlweise eingesetzt wurden, was aufgrund ihrer formalen Einheitlichkeit ohne Bruch im Erscheinungsbild möglich war. 32)

Die Bände erschienen (ursprünglich) in drei Einbandvarianten, die sämtlich von Weiß entworfen worden waren. Die broschierte Ausgabe war in einem dunkelgrünen Einband gehalten, der sowohl schwarz bedruckt als auch mit einer Druckprägung erschien. Dasselbe Erscheinungsbild wies die Variante in einem abwaschbaren Leineneinband auf, die für Leihbüchereien konzipiert war. Die dritte Version schließlich war ein Künstlereinband mit einem weißen Pergamentrücken, goldfarben bedruckt und auf Vorder- und Rückseite mit in Ovale gesetzten Blumenmustern auf braunstreifigem Grund. Dieses an biedermeierliche Stoff- bzw. Tapetenmuster erinnernde Motiv wiederholte sich auf dem Vorsatz mit dem Unterschied, daß auf dem Vorsatzpapier der streifige Untergrund entfiel.

Für die einzelnen Bände benutzte Weiß neben dem oben genannten weitere Vorsatzpapiere. In Band 73 zum Beispiel wird eine kleine, nach links geneigte Blüte wiederkehrend verwendet, in Band 39 ein grüner Blumenkorb in einem gelbfarbenen Rhombus. Diese floralen Motive, vor allem die Blumen- und Fruchtkörbe, verwendete Weiß, wie schon beim Getreuen Eckardt ausgeführt, sehr häufig in den verschiedensten Varianten. 33)

Der Einheitseinband für die broschierte und Leinenversion ist lediglich in einem Detail variiert worden: Bei Band 39 erscheint unter der Reihennennung "Schaffsteins Volksbücher" anstelle des sonst verwendeten Ornaments die Bezeichnung "Für die Jugend", wobei der gleichartig aufgemachte Schutzumschlag zu diesem Band wiederum das übliche Blumenornament zeigte.

1906 gestaltete Weiß als seine letzte Veröffentlichung für den Schaffstein Verlag "Steht auf Ihr lieben Kinderlein", eine Gedichtsammlung, zu der auf dem Titelblatt vermerkt wurde: "Gedichte aus älterer und neuerer Zeit für die Schule ausgewählt von Gustav Falke und Jakob Loewenberg". Weiß verwendete einen Pergamentrücken mit schwarzem Titel und als Einband eine farbliche Variante des Vorsatzpapiers, einem gegenläufig wiederkehrend verwendeten Blütenzweigmotiv, eingespannt in zarte, unterbrochene Linien. Auf dem Innentitel stellte Weiß mittig eine in rot ge-druckte aufgehende Sonne in einer Mandorla vor eine Landschaft als Verlagszeichen.

Eine Variante dieses rotgedruckten Verlagszeichen erscheint in der zweiten Auflage als ein Oval mit einer mittig eingesetzten Sonne und symmetrisch beidseitig angeordneten Blumen- und Vogelmotiven.

Der Buchschmuck im Text beschränkte sich auf je eine Abschlußvignette zur Vorrede und zu den das Buch abschließenden Quellenangaben zu den Gedichten aus neuerer Zeit.

Als Abschluß seines buchkünstlerischen Werks für das Jugendbuch entwarf Weiß den Einband zur Luxusausgabe der Reihe "Das Märchenbuch" aus dem Verlag Bruno Cassirer. Diese "Folge von Märchenbüchern für Kinder und Erwachsene" erschien in dieser Einbandversion in einer numerierten Auflage von 100 Exemplaren in einem Ledereinband mit Goldschnitt. Die dem Verfasser vorliegende Ausgabe von Band 4 "Alladin" aus dem Jahre 1918 zeigt einen symmetrisch mit Blumenmuster versehenen und durch drei senkrechte Linien in doppelt geführten Randlinien eingebetteten Buchdeckel, in den der Titel mittig eingeordnet ist und einzelne Blüten gleichmäßig eingestreut sind.

Damit ist der kurzfristige und schmale Beitrag von Emil Rudolf Weiß als Illustrator und Buchkünstler für das Kinder- und Jugendbuch abgeschlossen. Er beschränkte sich auf wenige Jahre und illustratorisch lediglich auf Schaffstein als Verleger. 34) Weiß selbst erwähnte diese Arbeiten in seinen Texten zur Buchkunst nicht; auch in der Festschrift zu seinem 50. Geburtstag werden sie ebensowenig genannt wie in allen Publikationen zu seinen Arbeiten. Erst Barbara Stark nimmt dazu - allerdings nur kurz und erwähnungsweise - Stellung. 35)

Dieses "Vergessen" liegt zum einen in der generell geringer eingeschätzten "Wertigkeit" des Kinder- und Jugendbuchs als Bestandteil der Buchkunst begründet, beruht aber auch andererseits auf der mangelnden Bereitschaft der Kunstwissenschaftler, diese Arbeiten als Beitrag eines künstlerischen oder zeichnerischen Werks eines Künstlers zur Kenntnis zu nehmen. Es beruht aber auch auf der Geringschätzung, die auch Weiß selbst gegenüber seinen eigenen Illustrationsbeiträgen zum Ausdruck brachte. Sie waren Auftragsarbeiten, thematisch gebunden und - wie beim BUNTSCHECK - sogar in vielen Belangen vom Herausgeber vorgegeben. Kein Wunder, daß ein Maler mit so hohen Ansprüchen an sich selbst wie Weiß diese Arbeiten als Bagatellen ansah.

Weiß Beitrag ist ja auch - streng genommen - lediglich auf die Mitwirkung beim Buntscheck und auf den Einband zum Getreuen Eckardt bezogen. Alle anderen Arbeiten enthalten keine Illustrationen, wie ja Weiß in seinem buchkünstlerischen Oeuvre ohnehin mit Illustrationen nur in geringem Umfang vertreten ist.

Als notwendiger Annex bleibt der Blick auf die Stellung des jungen E. R. Weiß im Beziehungsgitter der drei Maler, die (neben Kreidolf) auf unterschiedliche Art zur neuen Sicht der Illustration im Kinderbuch entschieden beigetragen haben.

Freyhold, vorintellektuell und unmittelbar kindhaft empfindend und gestaltend als die quasi naive Komponente, Hofer, karg in der Mitteilung und Kommunikation, aber ausdrucksstark in der Gestaltung als die dominante Figur anzusehen. Und schließlich Weiß als der zu diesem Zeitpunkt bei weitem anerkannteste Künstler, als Mittler und Anreger wirkend und somit quasi der Kristallisationspunkt einer Künstlerbeziehung, in der Weiß nicht nur die Eigenheiten der beiden Freunde respektierte, sondern sogar förderte und herausstrich aus Überzeugung bis hin zum Verzicht auf die eigene Position. Mag auch der finanzielle Aspekt dabei Hintergrundaspekt gewesen sein: Es bleibt doch die große Rolle von Weiß als Entdecker eines Freyhold und seiner Einbeziehung in eine gemeinsame Aufgabenstellung, die das deutsche Kinderbuch im 20. Jahrhundert weitgehend geprägt hat.

Genauso wie bei Karl Hofer, den er - ebenfalls wegen dessen finanzieller Beengtheit - immer wieder einbezog in Honorararbeiten bis hin zu der malerischen Krise von Weiß 1906, die durch Hofers Dominanz und Entwicklungsvorsprung ausgelöst wurde.

Bei all dem blieb die künstlerische Wirkung von Weiß bei den Kinderbuchillustrationen hinter den Leistungen der Freunde zurück. Damit auch die Ausstrahlung und Beeinflussung nachfolgender Illustratoren, die das künstlerische Wirken von Hofer und Freyhold stärker in ihrer Ausdrucksart inspirierte als das Mitwirken von Weiß. Das eindrücklichste Beispiel dafür ist das Kinderbuch "Klein Irmchen" von Christian Morgenstern, zu dem der Weiß Schüler Josua Leander Gampp die Illustrationen schuf: Ganz offenbar nicht von seinem Lehrer Weiß, sondern von Freyhold inspiriert, der ursprünglich den Band hatte illustrieren sollen.